"Djangos Promenade"



En souvenir de Stéphane Grappelli

1. Ein Nachruf auf Stéphane Grappelli von Hanno Gräßer

Nach und nach hat ihn das Alter gezeichnet: Ab Mitte der 80er Jahre spielte er nur noch sitzend, er war etwas wackelig auf den Beinen geworden. Zunehmend plagte ihn beim Sprechen ein ätzender Husten, eine Berufskrankheit mancher Geiger; die vom ständigen Einatmen des klebrigen Kolophoniumstaubs des Bogens herstammt. Ab Anfang der 90er Jahre musste er von seinen Begleitmusikern gestützt werden, wenn er, wie ich mich erinnere, unter anhaltenden Ovationen die Bühne betrat. Bei seinen letzten Konzerten saß er schließlich, aufgrund eines Schlaganfalls, im Rollstuhl.

Aber, dass er irgendwann einmal nicht mehr würde Geige spielen können, war eigentlich fast unvorstellbar - ein Gedanke mit dem man sich gar nicht befassen wollte, er selbst übrigens am allerwenigsten:

,,Wie auch immer, ich hoffe, dass ich mit der Geige in der Hand sterbe, dass ich auf der Bühne tot umfalle!" gestand er einmal Gudrun Endress in einem Gespräch und fügte humorvoll hinzu: ,,Ich hoffe, dass für diese Gelegenheit eine weiche Matratze daliegt!"

Obwohl er in der Nacht zum 1. Dezember 97 nicht auf der Bühne, dafür aber sicher auf einer weichen Matratze im Krankenhaus von Paris starb, kann man sagen, sein Wunsch, bis zuletzt Geige spielen zu können, ging im großen und ganzen in Erfüllung. Noch im vergangenen Jahr veröffentlichte er die CD ,,Flamingo" gemeinsam mit Michel Petrucciani, konzertierte in Nizza und die letzte Information, die ich von einem seiner Manager erhielt war, er würde sich von seinem zweiten Schlaganfall langsam erholen, könne wieder spielen, allerdings nur eine Viertelstunde - das reiche leider noch nicht für ein ganzes Konzert.

Stephane Grappelli hat nicht nur das Violinspiel im Jazz und gemeinsam mit Django Reinhardt die jazzbeeinflusste Musik der Sinti und Roma nachhaltig geprägt, seine Wirkung ging weit über die Grenzen des Jazz hinaus. Vor allem seine besonderen Improvisationskünste beeindruckten auch traditionell klassisch erzogene Geiger wie Yehudi Menuhin, mit welchem Grappelli in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre insgesamt sechs Schallplatten einspielte:

,,Grappelli ist jemand, den ich sehr liebe und fast ebenso stark beneide. Er ist ein Musiker, der es nur so aus dem Ärmel schüttelt, über jedes Thema zu improvisieren und dabei jede Nuance - Aggressivität oder Virtuosität, Sehnsucht oder Ironie - blitzschnell, mit großer Genauigkeit und Überzeugungskraft auszudrücken."

Musikalisch zeigt dieser Einfluss seine Wirkungen insbesondere bei der jüngeren Generation, einer zunehmenden Zahl von Geigern und anderer Musiker die ihr Konzertrepertoire nicht mehr nach traditionellen Kategorien entweder ,,Klassik" oder ,,Jazz" ausrichten. Bestes Beispiel ist der Geiger Nigel Kennedy, der im Alter von 14 Jahren an Menuhins Schule erstmals Gelegenheit hatte mit Grappelli öffentlich zu musizieren:

,,Stephane habe ich vom ersten Augenblick an zum Idol erkoren. Als ich ihn kennen lernte, war ich ungefähr vierzehn. Ich habe, glaube ich, hauptsächlich aus zwei Gründen zu ihm aufgeschaut: Zum einen spielte er die Violine auf eine Art, wie ich es noch nie gehört hatte. (...) Zum anderen unterschied sich sein Lebensstil vollkommen von dem der klassischen Musiker, die ich kannte. Er konnte den ganzen Tag herumgammeln, tun, was ihm gerade Spaß machte. Abends trat er dann auf die Bühne und spielte phantastisch. Er reagierte in jeder Situation spontan und stilvoll."

Geboren am 26. Januar 1908 in Paris musste Stephane Grappelli bis 1919 die meiste Zeit seiner Kindheit in einem Waisenhaus verbringen. Gründe waren der frühe Tod seiner Mutter und der 1914 beginnende Weltkrieg. Von 1919 bis 1923 lebte Grappelli gemeinsam mit seinem italienischen Vater; der ihm im Alter von 12 Jahren seine erste Geige schenkte. Das Violinspiel, wie auch später das Klavier- und Saxophonspiel, erlernte er weitgehend autodidaktisch. Mit 16 Jahren verdiente er seinen Lebensunterhalt bereits selbst, als Geiger in einem Klavierquartett, welches die Stummfilme in einem Kino begleitete. Ab 1927 arbeitete er aus finanziellen Gründen ausschließlich als Pianist, unter anderem in dem Unterhaltungsorchester Gregor et ses Gregoriens, einem französischen Pendant zum amerikanischen Paul-Whiteman-Orchester. Gemeinsam mit dem ,,Zigeunergitarristen" Django Reinhardt entstand 1934 das Quintette du Hot Club de France, eine Band deren neuartiges Konzept durch die ausschließliche Verwendung von Saiteninstrumenten geprägt war und Grappellis internationale Karriere als Geiger begründete. Klassiker wie Tears, Minor Swing, Djangology sind Gemeinschaftskompositionen des Gitarristen und des Geigers aus dieser Zeit. Ende 1939 trennte sich Grappelli vom Quintett und arbeitete für die Dauer des zweiten Weltkrieges in London, zunächst als Geiger im Unterhaltungsorchester Hatchett's Swingtette, später mit seinem eigenen Quintett gemeinsam mit dem Pianisten George Shearing. ,,Vielleicht die besten fünf Jahre meines Lebens" sagte Grappelli später über diese Zeit. Eher sporadisch setzten Reinhardt und Grappelli nach dem zweiten Weltkrieg ihre Zusammenarbeit fort. Der Bebop hatte die Jazzszene radikal verändert, weswegen es ihnen nicht gelang, an ihre früheren Erfolge anzuknüpfen. Ab den 50er Jahren spielte Grappelli mit den verschiedensten international bekannten Musikern, unter ihnen Duke Ellington, Oscar Peterson, Joe Pass, Jean-Luc Ponty, Yo Yo Ma und viele andere. Für mich herausragend sind die Aufnahmen gemeinsam mit dem Gitarristen Barney Kessel (1969) und mit dem Mandolinenspieler David Grisman (1979). In den 80er Jahren gründete er ein eigenes Trio mit dem Gitarristen Mark Fosset und wechselnden Bassisten, zuletzt spielte Jean Philippe Viret. Diese Besetzung erinnert an das Quintette du Hot Club de France, mit Beschränkung auf die drei wesentlichen Instrumente. Von Nostalgie war Grappelli jedoch weit entfernt, bis zuletzt reflektiert sein inzwischen hoch entwickelter Stil die gesamten Erfahrungen und musikalischen Strömungen seiner 70jährigen Karriere. Eine enorme Leichtigkeit und Eleganz kennzeichnen seine Tongebung und seinen späten Violinstil, der sich zunehmend ästhetischen Idealen des klassischen Geigenspiels näherte und dadurch seine unverwechselbare, Stilgrenzen überschreitende universelle Ausstrahlung erreichte. In seinem Klavierspiel, sowohl als Solist als auch als leidenschaftlicher Begleiter, wird Grappellis großes Vorbild Art Tatum hörbar, ein Musiker, der wie er selbst stark von der europäischen Kunstmusik inspiriert war. Das Klavier blieb zeitlebens Grappellis ,,zweite Liebe", wie der Titel einer 1990 eingespielten CD, auf der er ausschließlich als Pianist zu hören ist, lautet und was er in seinen Konzerten durch gelegentliche Solo-Einlagen immer wieder gern demonstrierte.

Was Grappelli als Menschen auszeichnete, war seine ständige Offenheit, Flexibilität und Herzlichkeit und die daraus resultierende erfolgreiche Zusammenarbeit mit zahlreichen Musikern. Hinzu kamen seine unbegrenzte Leidenschaft für die Improvisation und die stetige Suche nach neuen Eindrücken und Inspirationsquellen - all das hielt ihn solange jung. Nach seinem Tod, so sagte er einmal in einem Interview im französischen Fernsehen, solle Gott sagen:

,,Wir löschen alles aus und beginnen von vorn".

2. Interessante Adressen im Internet

 

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